ADHS und Perfektionismus – eine unterschätzte Herausforderung

 

 

ADHS und Perfektionismus – eine unterschätzte Herausforderung

 

Auf den ersten Blick scheinen ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und Perfektionismus kaum miteinander vereinbar zu sein.

Während ADHS mit Impulsivität, Unruhe, Desorganisation und Vergesslichkeit in Verbindung gebracht wird, denken wir bei Perfektionismus an Menschen mit hohem Anspruch, Ordnungssinn und überdurchschnittlicher Kontrolle.

Doch gerade diese Gegensätzlichkeit macht die Kombination so belastend – und häufig so unsichtbar.

 

 

 

 

Doch genau darin liegt die Herausforderung.

Viele Betroffene mit ADHS entwickeln über die Jahre perfektionistische Züge – teils als Kompensationsstrategie, um ihre vermeintlichen Schwächen zu überdecken.

Sie möchten Fehler unbedingt vermeiden, weil sie schon oft mit Kritik oder Missverständnissen konfrontiert waren.

Perfektionismus wird zur Schutzmauer gegen Ablehnung, Versagensängste und das eigene Chaos.

 

 

 

Das Resultat:

Prokrastination durch Überforderung:

Der Anspruch, etwas perfekt zu machen, blockiert den Start.

 

 

 

Selbstsabotage:

Die Angst, Erwartungen nicht zu erfüllen, führt zu Rückzug oder Vermeidung.

 

 

 

Selbstwertprobleme:

Das Gefühl, nie „gut genug“ zu sein, bleibt ein ständiger Begleiter.

 

 

 

Warum das Thema mehr Aufmerksamkeit braucht:

Therapeutisch wird Perfektionismus bei ADHS oft übersehen, obwohl er die Lebensqualität massiv beeinträchtigen kann.

Im Alltag erleben Betroffene häufig einen ständigen inneren Konflikt zwischen Impulsivität und dem Wunsch nach Kontrolle.

Gesellschaftlich wird Perfektionismus häufig positiv konnotiert – dabei ist er in diesem Zusammenhang oft ein Symptom von tieferer Unsicherheit.

 

 

 

Was helfe kann:

  • Psychoedukation über ADHS und dessen psychische Begleiterscheinungen
  • Arbeit an einem realistischen Selbstbild und Selbstmitgefühl
  • Kognitive Verhaltenstherapie oder ACT (Acceptance and Commitment Therapy)
  • Austausch in Selbsthilfegruppen oder Coaching mit ADHS-Expertise

 

 

 

Ein Widerspruch – und doch Realität

Viele Menschen mit ADHS entwickeln im Laufe ihres Lebens starke perfektionistische Tendenzen. Warum?

 

Weil sie früh lernen, dass ihr Verhalten oft nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht:

 

  • Hausaufgaben werden vergessen,
  • Termine verpasst,
  • Gedanken schweifen ab,
  • Reize überfordern.

 

Das ständige Gefühl, nicht zu genügen, nicht reinzupassen oder nicht verstanden zu werden, hinterlässt Spuren. Um Kontrolle über das eigene Chaos zu gewinnen, versuchen viele Betroffene, sich über überhöhte Ansprüche abzusichern.

Fehler werden zur Bedrohung. Perfektionismus wird zur Überlebensstrategie.

 

 

 

Perfektionismus als Maske

Für viele ADHS-Betroffene wird Perfektionismus zur unsichtbaren Maske:

Sie verbringen Stunden mit der Planung – kommen aber nie zur Umsetzung.

Sie starten Projekte nicht, aus Angst, sie nicht perfekt abschließen zu können.

Sie verstecken Schwächen, um ja nicht „aufzufliegen“

Sie überarbeiten Texte, Präsentationen oder Aufgaben endlos – während sie gleichzeitig mit Zeitmanagement kämpfen.

Dieser innere Druck ist oft zermürbend.

Und er bleibt im Außen meist unerkannt, weil Betroffene nicht dem klassischen Bild von „disziplinierten Perfektionisten“ entsprechen.

 

 

 

 

 

Die unsichtbare Erschöpfung

Die Folge ist eine oft übersehene chronische Erschöpfung – mental wie körperlich:

  • Dauerhafter Stress durch überhöhte Erwartungen
  • Innere Zerrissenheit zwischen Impuls und Anspruch
  • Selbstwertprobleme durch wiederholtes Scheitern an eigenen Maßstäben
  • Erschöpfung durch den ständigen Versuch, „normal“ zu funktionieren

 

Dieser Zustand wird leicht mit Faulheit, Unzuverlässigkeit oder mangelnder Motivation verwechselt – und verstärkt so Scham und Rückzug.

 

 

 

Was hilft? Wege zu mehr Selbstmitgefühl und Akzeptanz

 

 

1. Verständnis für die eigene Neurodivergenz entwickeln:

 

Psychoedukation hilft, Zusammenhänge zu erkennen und eigene Verhaltensmuster einzuordnen – ohne Schuld oder Scham.

 

 

 

 

2. Selbstmitgefühl statt Selbstkritik:

 

Der liebevolle Blick auf das eigene „Warum“ kann befreiend wirken. Es geht nicht darum, weniger zu verlangen, sondern anders mit sich umzugehen.

 

 

 

 

3. Realistische Ziele setzen:

 

Kleine, erreichbare Schritte helfen, das Gefühl von Selbstwirksamkeit zurückzugewinnen.

 

 

 

 

4. Therapeutische Begleitung:

 

Besonders hilfreich sind Therapien, die sowohl ADHS als auch Perfektionismus adressieren – etwa Verhaltenstherapie oder ACT (Acceptance and Commitment Therapy).

 

 

5. Austausch mit anderen:

 

Selbsthilfegruppen, Coaching oder ADHS-sensible Communities bieten Raum für Verständnis, neue Perspektiven und Entlastung.

 

 

 

Fazit

 

Perfektionismus bei ADHS ist kein Luxusproblem.

Er ist Ausdruck eines tiefen Bedürfnisses nach Kontrolle in einer oft als chaotisch erlebten Innenwelt. Wer hier nur Disziplin einfordert, verkennt die wahre Herausforderung.

Was Betroffene brauchen, ist nicht mehr Druck – sondern mehr Verständnis, mehr Selbstmitgefühl und mehr passende Unterstützung.

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