
Neurodiversität: Muss ADHS überhaupt behandelt werden?
Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich meine ADHS-Diagnose bekam.
Es war keine große Überraschung, eher eine Art Bestätigung – ein „Aha, deswegen also".
Plötzlich ergab so vieles in meinem Leben Sinn: die ewige Unruhe, das ständige Gedankenkarussell, die Impulsivität, aber auch diese wilde Kreativität, der Ideenreichtum und die Leidenschaft, mit der ich mich in Dinge stürzen konnte, die mich interessierten.
Seitdem beschäftigt mich eine Frage immer wieder:
Muss ADHS überhaupt behandelt werden?
In einer Welt, in der Normen das Maß aller Dinge sind, gilt ADHS oft als etwas, das „repariert“ werden muss.
Unkonzentriertheit, Impulsivität, Hyperaktivität – das klingt in den Ohren vieler wie ein Fehler im System.
Aber was, wenn es kein Fehler ist, sondern einfach eine andere Art, das Leben zu erleben?
Neurodiversität ist kein Trend, sondern Realität
Der Begriff Neurodiversität geht davon aus, dass neurologische Unterschiede wie ADHS, Autismus oder Dyslexie natürliche Varianten des menschlichen Gehirns sind – keine Defekte.
Und genau das verändert den Blickwinkel: Weg vom pathologisierenden „Was stimmt nicht mit dir?“ hin zum wertschätzenden „Wie tickst du und was brauchst du, um zu wachsen?“
Behandlung – ja oder nein?
Ich glaube, die Frage ist nicht, ob ADHS behandelt werden muss, sondern wie – und für wen.
Für manche Menschen ist medikamentöse Unterstützung ein echter Gamechanger.
Sie hilft, den Fokus zu halten, Prioritäten zu setzen, den Alltag zu strukturieren. Und das ist okay.
Andere finden ihren Weg über Coaching, Achtsamkeit, Ernährung, Bewegung – oder durch die bewusste Gestaltung eines Umfelds, das ihre Stärken fördert statt ihre Schwächen zu bestrafen.
Auch das ist okay.
Und wieder andere sagen: Ich will gar nichts „behandeln“, ich will einfach verstanden werden.
Auch das – völlig okay.
Es geht um Wahlfreiheit
Was mich stört, ist der gesellschaftliche Druck. Die Erwartung, sich anpassen zu müssen.
Die stillschweigende Annahme, dass man nur dann „funktioniert“, wenn man möglichst neurotypisch ist.
Aber was wäre, wenn wir stattdessen mehr Raum für Unterschiedlichkeit schaffen würden? Wenn wir nicht nur über Inklusion reden würden, sondern sie wirklich leben? Wenn Kinder mit ADHS in der Schule nicht als „Störenfriede“, sondern als kreative Querdenker gesehen würden? Wenn Erwachsene mit ADHS nicht ständig Angst hätten, im Job als „chaotisch“ oder „unzuverlässig“ abgestempelt zu werden?
Fazit: ADHS muss nicht behandelt werden – es darf behandelt werden
Für mich ist ADHS ein Teil meiner Identität. Es macht mich nicht besser oder schlechter, aber es macht mich anders.
Und je mehr ich mich selbst annehme, desto weniger geht es darum, mich zu „behandeln“.
Sondern darum, mich zu verstehen – und mein Leben so zu gestalten, dass es für mich funktioniert.
Also: Muss ADHS behandelt werden? Nein, nicht zwangsläufig. Aber es darf – wenn der Mensch selbst es will.
Was denkst du darüber?
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